Pralinenschachtel - Projekt
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Pralinenschachtel - Projekt

Ein schulinternes Projekt.
 
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 Kapitel sieben

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Burny

Burny


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BeitragThema: Kapitel sieben   Kapitel sieben Icon_minitimeSo Mai 19, 2013 4:06 am

Es heißt, die Inuit hätten mehr als zwanzig Wörter für Schnee. Auch wenn ich nicht glaube, dass das wirklich stimmt, würde es mich nicht sonderlich wundern, wenn das tatsächlich der Fall wäre. Denn je mehr man es mit einer Sache zu tun bekommt, desto mehr Variation braucht man, wenn man sie beschreiben will.
Als jemand, der einen großen Teil seines Lebens komplett allein gelebt hat, immer am selben Ort, und das Haus nur verließ, um mir Gemüse aus dem Garten zu holen, gibt es auch Sachen mit denen ich immer wieder konfrontiert wurde.
Ich begann den Regen, der gegen mein Fenster schlug, nach seiner Lautstärke zu benennen und danach, wie er den Boden ausweichte. Ich benannte das spärliche Waldgras nach seiner Farbe. Doch die Sache, mit der ich es am Meisten zu tun hatte, war die Stille.
Selbst wenn Regen fällt, selbst wenn die Uhr tickt, sogar wenn der laute und alte Computer unverkennbar summt, war die Stille präsent, eine Stille, die nur menschliche Stimmen vertreiben konnten. Ich hatte die Stille benannt, die auf den Schmerzensschrei folgte, wenn ich mich geschnitten hatte, die Stille, die einen zu erdrücken scheint, wenn man versucht zu schlafen, und viele andere.
Doch es gab eine ganz besondere Stille, mit der ich bisher nie konfrontiert gewesen war: Die peinliche Stille. Die Stille, die auf eine Aussage folgt, zu der es einfach nichts gibt was man sagen kann, oder möchte. Und diese Stille hing nun über June und mir, wie eine düstere Wolke am morgendlichen Himmel.
‘Du warst gestern Nacht ganz ruhig. Du hast überhaupt keine Anstalten gemacht mich anzugreifen.’ Was konnte ich darauf sagen? Ich hatte meine Gelegenheit bekommen, nach einem Monat des ängstlichen Wartens, und es hatte mir nicht das geringste gebracht.
‘Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich etwas von der Körpersprache der Wölfe verstehe.’ Hier traf ich sie nun, die eine Person, der ich nicht schaden würde, wenn ich in Wolfsform war, und sie musste unbedingt meine Gefängniswächterin sein.
Mir war klar, dass mein Plan, mein einziger Plan, auch bei einem zweiten Versuch nicht aufgehen würde. Jetzt sah ich den Sinn hinter all den Werwolfsbüchern, sogar hinter ihrer Arbeit in dem Wolfspark. Sie wusste wie man einen Wolf, und somit auch einen Werwolf beruhigte.
Dies erklärte auch, wie es ihr überhaupt gelungen war, mich zu fangen. Einen Werwolf kuschelt man nicht einfach in eine Decke und bringt ihn ins Haus, zumindest nicht wenn man nichts von seinem Denken verstand.
Was also nun?
June war eine Verrückte, das war mir von Anfang an klar, doch sie war eine unheimlich geschickte Verrückte. Ihr Haus war werwolfsicher, und sie selbst war eine Expertin. Sich einfach nur mit ihr gut zu stellen, würde mir nicht weiter helfen, doch wenn ich es nicht tat, würde sie mir wahrscheinlich wieder eine Klinge in den Arm rammen.
Doch Vernunft würde mich hier nicht weiterbringen. Mein wohlgeordneter Plan hatte versagt, es war Zeit, spontan zu sein. Und in den Angriff zu gehen.
“Geht es dir gut?” fragte sie, mit schiefgelegtem Kopf und neugierigen großen Augen, als wäre ich ihr Kind und läge mit Fieber im Bett.
“Nein. Mir geht es nicht im geringsten gut.” Ich richtete mich auf und stützte mich so stabil wie möglich ab. Es konnte jederzeit sein, dass ich mich verteidigen musste.
“Genau genommen bezweifle ich, dass es mit jemals SCHLECHTER gegangen ist!”
“Was ist denn dein Problem?”, fragte sie, echte Besorgnis in den Augen.
“DU bist mein Problem! Ist das nicht offensichtlich? Könnte das in irgendeiner Hinsicht noch klarer sein?”, brüllte ich, mit einer vom Zorn gestärkten Stimme, in ihr Gesicht.
Ich hatte den Angriff kommen sehen, sie war unbewaffnet, und ging nur mit einer Faust auf mich los, die ich jedoch festhalten und auf die Matratze drücken konnte. Ihr anderer arm folgte augenblicklich, den ich mit der anderen Hand blockte.
“Nein! Du wirst mich nicht schon wieder angreifen! Warum können wir nicht einfach reden? Du sagst immer wieder das du mich liebst, also warum versucht du mich umzubringen sobald ich mir dir spreche?”
June zerrte so sehr an meinen Armen, um ihre Hände zu befreien, dass sie mir fast entglitten, doch ich packte nur noch stärker zu. Ein zorniges Fauchen entwich ihrem Mund, wie das einer Raubkatze.
“Lass das! Du hast doch gesagt, dass du willst, dass ich mich in dich verliebe, oder? Also hilf mir doch dich zu verstehen! Wie kann ich jemanden lieben, dem ich nie vertrauen kann?”
Ihr zappeln wurde stärker, sie hatte sich komplett aufs Bett geworfen und trat nun nach mir, um sich zu befreien. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Erst jetzt, als ich kurz einen Blick auf ihr Gesicht werfen konnte, sah ich zwei kleine Bäche von Tränen, die über ihr Gesicht den Weg an ihr Kinn suchten.
“Du verstehst gar nichts!”
Ihre kreischende Stimme war gebrochen, die Verzweiflung war deutlich herauszuhören. Sie zog noch einmal heftig an meinen Armen, trat mir in den Magen und erschlaffte dann vor mir. Auch wenn sie ihr Gesicht verbarg, konnte ich ihr schluchzen hören.
“Ich brauche dich doch... bitte verlass mich nicht. Alle, die ich geliebt habe, haben mich verlassen, nicht auch noch du!”
Ich hielt es für sicher sie loszulassen. Alle Energie schien sie verlassen zu haben, sie lag da wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln, unfähig sich zu regen. In Anbetracht ihrer verletzbaren Situation verkniff ich mir die Bemerkung, dass es mich nicht wundert, dass man sie verließ, wenn sie jeden so behandelte wie mich und kroch stattdessen vorsichtig auf sie zu. Erst jetzt, als sich das weiße Bettzeug verfärbte, bemerkte ich ein kleines Blutrinnsal, vermutlich hatte sie mich in der Auseinandersetzung aufgekratzt.
“Ich habe niemanden mehr. Niemanden außer dir...”
Sie schluchzte immer weiter. Ich kannte sie jetzt schon lange genug um zu erkennen, dass das hier mehr als eine Show war. Die Frau, die da vor mir auf dem Bett lag, das wir uns schon seit genau einem Monat teilten, war an ihrem Tiefpunkt angekommen. Ich hatte zwar offensiv werden wollen, aber das hier hatte ich nicht gewollt. Zaghaft legte ich meine Hand auf ihren Kopf, ganz istinktiv, wie ich es auch bei einem traurigen Kind gemacht hätte, um es aufzumuntern, und sie hob ihr von Weinen verquollenes Gesicht, den Blick auf meines gerichtet.
“Ich habe meine Eltern geliebt. Das habe ich wirklich, und sehr. Und sie haben mich geschlagen, immer und immer wieder. Wenn ich widersprochen habe, haben sie mich geschlagen. Wenn ich ungehorsam war, haben sie mich eingesperrt.”
Erneut tropften Tränen aus Junes Augen uns sie begann zu zittern. Auch wenn sie immer schon jung gewirkt hatte, schien sie jetzt jünger denn je, verletzt und verstört.
“Ich lebe besser, seit sie weg sind. Man hat mich ihnen weggenommen und mir einen neuen Platz gegeben. Ich glaube nichtmal, dass sie traurig darüber waren!”
Den letzten Satz rief sie aus, und rammte ihre Faust dabei zornig in das Kissen, bevor sie wieder erschlaffte und ihr Gesicht in der lächerlichen, mit Wölfen bedruckten Schlafanzug-Hose vergrub, die sie mir in der Nacht wohl wieder angezogen hatte.
“Deshalb willst du das ich bleibe. Du willst nicht mehr allein sein.”
Sie nickte, das Gesicht immer noch in meinem Bein versenkt, das durch ihre Tränen immer feuchter wurde. Ich strich ihr mit der Hand durch die Haare, fast unterschwellig, während mein Kopf die Informationen ordnete, die ich gerade erhalten hatte.
Deshalb war June so besessen von mir. Nicht weil ich verletzt war, wie der Werwölfe in ihren Büchern, nicht weil sie meinte, ich bräuchte ihre Hilfe, sondern weil sie meine Hilfe brauchte. Natürlich, sie hielt mich noch immernoch fest, und ich hatte nicht vergessen, wie viele Wunden sie mir beigeführt hatte, emotional und physisch.
Und doch konnte ich nicht anders als mit ihr mit zu fühlen. Ich kannte das Gefühl nur zu gut, allein zu sein, sich ungeliebt zu fühlen. All die Jahre war es mir gelungen es zu unterdrücken, allein in meiner Hütte, mit der Stille als einzigem Begleiter, doch ich hatte es immer gespürt, verborgen in meinem Innern.
Wir waren beide einsame Wölfe. Für einen neuen Plan war auch morgen noch Zeit, ich konnte fliehen wann ich wollte. Heute musste ich ein Mädchen trösten, das von ihren Eltern geschlagen worden war und weinend auf ihrem Bett lag. Und was gab es Wichtigeres als das?

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Ich war beim Schreiben permanent am Rand der Tränen, ich hoffe das war es wert!
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BeitragThema: Re: Kapitel sieben   Kapitel sieben Icon_minitimeSo Mai 19, 2013 11:39 pm

Das ist einfach nur traurig was du da geschrieben hast *schnief*
Aber irgendwie auch total schön. Ich glaubt, jetzt kann man June nicht mehr böse sein.
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Beau

Beau


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BeitragThema: Re: Kapitel sieben   Kapitel sieben Icon_minitimeDi Mai 21, 2013 12:26 am

Nein definitiv nicht. Ich würd am liebsten sofort das nächste schreiben aber heute hab ich keine Zeit...
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BeitragThema: Re: Kapitel sieben   Kapitel sieben Icon_minitime

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