Pralinenschachtel - Projekt
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

Pralinenschachtel - Projekt

Ein schulinternes Projekt.
 
StartseiteNeueste BilderSuchenAnmeldenLogin

 

 Kapitel acht

Nach unten 
2 verfasser
AutorNachricht
Beau

Beau


Anzahl der Beiträge : 110
Anmeldedatum : 04.12.12

Kapitel acht Empty
BeitragThema: Kapitel acht   Kapitel acht Icon_minitimeMi Mai 22, 2013 2:55 am

Wir lagen noch lange so da. Auch als Junes Tränen schon lange getrocknet waren. Ich fuhr ihr Gedanken verloren mit den Fingern durch das rote Haar. Sie atmete ganz ruhig, es schien ihr tröstlich zu sein, dass ich da war. Und genau so war es. Ich war für sie da. So wie sie es brauchte. Es stach in meiner Brust wenn ich daran dachte, wie sie wohl all die Jahre alleine in diesem Haus gelebt haben musste. Allein, wie ich. Vielleicht besaß sie ähnlich viele Worte für die Stille wie ich. Aber auf seltsame Weise machte jetzt alles was sie in den letzten Wochen gesagt oder getan hatte einen Sinn. Irgendwie weckte ihre Einsamkeit in mir den Wunsch, bei ihr zu bleiben, ihr zu helfen. Ich vermute das war, was mein Herz sagte. Denn mein Kopf war von dem Gedanken nicht sehr begeistert. Im Gegenteil, ich war überrascht, dass ich nach diesem Monat des Gefangenendaseins tatsächlich daran dachte, zu bleiben. Aber was würde aus meiner Hütte? Und meinem Garten? Ich konnte sie nicht allein im Wald zurück lassen. Ganz unmöglich. Ich würde wieder zurück kehren und June ihrem Schicksal überlassen müssen. Auch wenn es mir weh tat, daran zu denken. Es erschien mir kalt und unbarmherzig. Meldete sich da etwa mein Gewissen? Ich seufzte. Darüber wollte ich mir keine Gedanken mehr machen, später würde ich sowieso erstmal an einem Fluchtweg feilen müssen. Zudem knurrte mein Magen. June drehte sich auf den Rücken, den Kopf auf mein Bein gebettet und sah mich von unten an. „Was ist los?“ Wieder hatte sie den besorgten Blick drauf. Aber irgendwie wirkte er ehrlicher auf mich als die Tage davor. Das mochte aber auch Einbildung sein. „Ich habe Hunger. Was hältst du von Frühstücken?“ Sie drehte den Kopf zu der Uhr auf einem der Nachttischchen und nickte. „Ich muss langsam los.“ Ein letztes Schniefen entglitt June, dann rappelte sie sich auf und rutschte vom Bett. Die kalte Luft drang an mein tränennasses Bein und brachte unerwartete Kälte. Ich seufzte wieder und rollte mich auch vom Bett.

Das Frühstück verlief ruhig wie immer. Keine Messer, keine Angriffe, nichts. Es war als sei diese Seite an June komplett verschwunden. Aber ich kam nicht umhin zu bemerken, wie still sie war. Normalerweise war ich derjenige, der schwieg. Sie redete, erzählte von ihrer Arbeit. Aber heute schien sie in Gedanken zu versinken. Als sie sehr lange ihr Brot anstarrte und ich begann, mir Sorgen zu machen – ja, ausnahmsweise war sie das Sorgenkind – nahm ich ihre Hand und strich vorsichtig mit dem Daumen über ihren Handrücken. Nur um sie zu trösten, ihr zu zeigen, dass sie nicht allein. Sie sah hoch und ein feines Lächeln zierte ihr Gesicht. Aber das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. Die wundervollen grünen Seelenspiegel waren von einer seltsamen Traurigkeit erfüllt. Ich hätte ihr so gerne das Leid abgenommen, das in ihrem Blick geschrieben stand. Ich überlegte kurz wo ihre Eltern nun wohl waren. Wenn sie nicht sehr traurig gewesen waren, als die Behörden June ihrem Sorgerecht entzogen hatten, dann war es wohl kein Wunder, dass sie sich offensichtlich nicht mehr für ihre Tochter interessierten. Trotzdem fand ich es seltsam, dass sie sich kein einziges Mal meldeten. Welche Eltern konnten ihr eigenes Kind schon so sehr hassen?
Der Gedanke entfiel mir wieder als June begann, abzuräumen und sich den Mantel aus der Garderobe nahm. Sie machte sich zum Aufbruch bereit. Von meinem Stuhl in der Küche aus beobachtete ich, wie sie ihre Schuhe über die Füße streifte und den Stoff fest zurrte. Sie wirkte reichlich gedankenverloren. Wer konnte es ihr verdenken? Wahrscheinlich hatte sie nicht einmal vor gehabt, mir all diese Dinge aus ihrer Vergangenheit zu erzählen. Doch dadurch, dass ich nun wusste, was sie mir unter Tränen anvertraut hatte, fühlte ich mich seltsam verbunden mit ihr. Ich hatte wirklich das Gefühl, sie ganz und gar zu verstehen. Ein Rätsel blieb jedoch. Die verschlossene Tür vor dem Raum, den ich seither nicht hatte betreten dürfen. Was trieb June nachts da drin? Ich hatte mich das ja schon lange gefragt. Es schien mir das letzte große Mysterium dieser Frau. Und nun war meine Chance gekommen, dem auf den Grund zu gehen. Denn auf der Kommode im Flur lag der große unförmige Schlüssel, der zu der dunklen Tür gehörte, die ich nicht passieren durfte. Ich hatte seither jeden Morgen beobachtet, wie June diesen Schlüssel mit sich zur Arbeit im Tierpark genommen hatte. Er war der einzige Schlüssel, den sie außerhalb ihres Schlüsselbundes trug. Und er war auch der einzige Schlüssel, der diese seltsame klobige Gestalt besaß. Er schrie geradezu, dass er der verbotene Schlüssel war und es kribbelte mir in den Fingern, ihn mir zu schnappen. Aber ich hatte schon einmal einen unangenehm vergeblichen Versuch gestartet. Ich wollte das Risiko nicht eingehen, den plötzlichen Frieden zwischen uns zu zerstören. Trotzdem hing mein Blick wie fixiert an diesem Schlüssel. Eigentlich war es ein Wunder, dass June mein Starren nicht bemerkte. Aber heute morgen geschah auch etwas sehr ungewöhnliches. Im Nachhinein schreibe ich Junes Unachtsamkeit der Nachwirkung unseres Streitgesprächs zu. Denn sie ging wie immer zu der Kommode und griff wie immer nach ihrem Schlüsselbund. Aber den verbotenen Schlüssel ließ sie liegen, wandte sich ab und ging in Richtung Tür. Mein Herz machte einen Satz, als sich mir meine Möglichkeiten eröffneten, doch ich hütete mich, einen Laut von mir zu geben. Vielleicht lag hinter der Tür ja der lang ersehnte Fluchtweg? Vielleicht hielt June ihn deswegen so verschlossen? Angespannt lauschte ich wie die Tür ins Schloss fiel und sprang dann ruckartig auf. Der Stuhl schwankte verdächtig, blieb jedoch stehen und ich machte einen wahren Hechtsprung durch Küche und Flur. Ungestüm griff ich nach dem Schlüssel und wandte mich unverzüglich der dunklen Tür zu. Ich ging vorsichtig und mit klopfendem Herzen darauf zu, mir im Geiste ausmalend, was mich dahinter erwartete. Meine Hände zitterten tatsächlich etwas als ich den klobigen Schlüssel ins Schloss steckte. Er passte einwandfrei. Gespannt drehte ich den Schlüssel um und drehte den Knauf der Tür um. Quietschend gab das Holz nach und die Tür schwang in den Raum hinein auf. Was mich erwartete lag jenseits von allem, was ich mir vorgestellt hatte. Gähnende Finsternis empfing mich. Ich hielt inne und wartete darauf, dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Ein fahler Geruch nach antiseptischem Alkohol und nieder gebranntem Kerzenwachs schlug mir entgegen. Die Luft schien stickig und staubig, fast von einem Hauch Fäulnis erfüllt. Ein Schauer lief mir über den Rücken und meine Nackenhaare stellten sich unwillkürlich auf. Ich wurde wachsam, suchte mit einer Hand verzweifelt nach einem Lichtschalter an der Wand neben mir. Doch vergeblich. Nichts als glatte Tapete. Langsam begannen sich Konturen in der Dunkelheit ab zu zeichnen. Zwei große Kästen, wie schwere Truhen oder Kommoden, groß wie Menschen, standen an zwei Seiten des Raumes. Langsam wurden die Konturen schärfer und mir wurde die Durchsichtigkeit der Kästen bewusst. Sie waren gläsern und standen auf erhöhten Sockeln. Um sie herum waren einige fast mittelalterlich anmutende Kerzenhalter aufgestellt, deren Wachs zerflossen war. Als mir der erste Gedanke an die Aufgabe dieser Kästen kam schnellte mein Blick zurück zu den gläsernen Sphären. Und ich erstarrte. Mir fuhr es eisig kalt durch die Gliedmaßen. Zwei menschliche Gestalten lagen in den Kästen, die Hände auf der Brust verschränkt. Ein Mann und eine Frau. Der dumpfe Gestank von Tod berührte meinen Geist und ich konnte nichts anderes tun als wie versteinert im Türrahmen zu stehen. Särge. June bewahrte zwei Leichen in diesem Raum auf! Ich konnte die Augen nicht von diesem grausigen Anblick abwenden. Ihre Schädel waren zertrümmert als hätten sie starke Schläge auf den Kopf bekommen. Das Blut war lange getrocknet, die Menschen schon lange tot. Ich verspürte plötzliche Atemnot. Das war mit Junes Eltern geschehen. Alles was ich noch wenige Minuten zuvor über June gedacht hatte war dahin. Ich bemerkte kaum, wie sich die Haustür erneut öffnete und June außer Atem herein gestürmt kam. „Der Schlüssel....“ Ihre Stimme brach und ich spürte wie sie erkannte, was gerade geschehen war. „Oh nein...“ Die Worte waren nur ein leiser Hauch auf ihren Lippen. Schockiert wurde mir klar, dass Junes Eltern keinen natürlichen Tod gestorben sein konnten. Zeitgleiches Ableben war statistisch sehr unwahrscheinlich. Sie hatte sie umgebracht. Sie war eine Mörderin. Und ich hatte auch noch mit diesem verabscheuungswürdigen Menschen sympathisiert! Was war sie nur für ein Mensch, dass sie im einen Moment eine bemitleidenswerte verletzliche Kreatur und im nächsten Moment eine brutale Mörderin war? Ich stand wirklich nahe einem Kollaps.
Nach oben Nach unten
Burny

Burny


Anzahl der Beiträge : 64
Anmeldedatum : 04.12.12
Alter : 29

Kapitel acht Empty
BeitragThema: Re: Kapitel acht   Kapitel acht Icon_minitimeDo Mai 23, 2013 10:01 pm

Diesmal nur ein Paar Kleinigkeiten, das Kapitel ist echt gut geworden!

"Gespannt drehte ich den Schlüssel um und drehte den Knauf der Tür um." Widerholung, klingt einfach nicht schön^^

Die Särge sind tatsächlich aus Glas? Ich meine, es würde mehr Sinn machen wenn sie aus Holz wären, denn einen Glassarg zu beschaffen ist ziemlich schwierig... Dann müsste Arthur sie halt öffnen.
Wegen den Wunden bin ich nicht sicher, wie hat June ihre Eltern denn getötet? Ich dachte bisher mit einem Messer, aber ein stumpfer Gegenstant tuts wohl auch^^
Und dass Arthur schließt, dass es Junes Eltern sind, kommt ziemlich aus dem nichts, er sollte vielleicht vorher Ähnlichkeiten mit June bemerken, oder sie erinnern ihn an ein bild von June und ihren Eltern, das er irgendwo im haus gesehen hat (Wir können das ja noch in ein voriges Kapitel reinschreiben).

Ansonsten ein sehr gutes Kapitel!
Nach oben Nach unten
 
Kapitel acht
Nach oben 
Seite 1 von 1
 Ähnliche Themen
-
» Kapitel elf
» Kapitel zehn
» Kapitel vier
» Kapitel fünf
» Kapitel zwei

Befugnisse in diesem ForumSie können in diesem Forum nicht antworten
Pralinenschachtel - Projekt :: Das Pralinenschachtelprojekt 2 - Die Novelle :: Festgelegte Kapitel-
Gehe zu: